In einer Welt, die vor dem
Umweltkollaps steht, reift in einer Gruppe von Wissenschaftlern ein Plan, der
phantastischer nicht sein kann. Sie wollen eine Botschaft in die Vergangenheit
senden, um dies zu verhindern. Helfen sollen dabei Tachyonen, Teilchen, die
sich schneller bewegen als das Licht. Diese können dadurch in die Zeit
rückwärts reisen. So zumindest die Theorie. Die Praxis gestaltet sich etwas
schwieriger. Um eine Botschaft in die Vergangenheit zu schicken, schießt man
gezielt Tachyonen auf die Position der Erde im Jahr 1963, denn unser Planet
bewegt sich bekanntlich mit der Sonne und dem Planetensystem durch die Galaxis.
Doch es treten physikalische Phänomene auf, die man nur schwer überbrücken
kann. Doch dann kommen die Botschaften tatsächlich im Jahr 1963 an. Doch dort
lösen sie etwas aus, was die Absender nicht erwartet hatten…
Den Ablauf an physikalischen
Fakultäten und die Arbeit der Wissenschaftler glaubhaft darzustellen ist etwas,
was gerade bei Science Fiction-Romanen nicht so gut gelingt. Meist werden die
Gelehrten als verschrobene Personen dargestellt, die weit entfernt von
jeglicher Realität sind. Doch, im Gegensatz zu manchem anderem Autor, kennt Gregory Benford den
wissenschaftlichen Betrieb selbst ganz genau. Schließlich hat er sich auch als
Physiker selbst einen Namen gemacht.
Glaubhaft schildert er das Leben der Wissenschaftler auf beiden Seiten der
Verbindung. Figuren wie Gordon Bernstein, John Renfrew, Gregory Markham oder
Ian Peterson werden dabei sehr glaubhaft dargestellt. Kein Wunder, denn in
einigen Teilen basieren sie auf real existierende Personen. Auch das Umfeld
bringt Benford sehr gut herüber, dabei bei bemüht er sich Unterschiede klar
herauszustellen. Gordon Bernstein und sein Team stehen im Kalifornien des
Jahres 1963 vor der unglaublichen Entdeckung von Signalen aus dem All, die aus
dem Sternbild Herkules kommen. Doch Bernstein weiß, dass eine Bekanntmachung
nicht leicht an den Mann zu bringen ist. Seine Vorgesetzten tun die Signale als
Störungen ab, bis er sie Ende 1963 definitiv nachweisen kann.
Die Absender im Jahr 1998 haben
da ganz andere Probleme. Sie müssen sich bemühen die Mittel für dieses
ehrgeizige Projekt zusammenzukriegen, was in ihrer Zeit gar nicht so leicht
ist. Eine Algenseuche breitet sich über die Meere aus, saurer Regen und
Unwetter vernichten die Ernten. Rationierungen sind in England an der
Tagesordnung, aber auch Plünderungen durch so genannte Squatter, die keinerlei Skrupel besitzen auch jenen den letzten
Bissen Nahrung zu nehmen, der es ebenso nötig braucht. Die Regierungen sehen
tatenlos zu, wie die Welt in Anarchie versinkt. Gegen Ende des Romans
verschlimmert sich die Lage der Umwelt dermaßen, dass es keine Hoffnung mehr zu
geben scheint.
Benford gelingt es einen
spannenden Roman zu liefern, der fast ohne jegliche Action auskommt. Plausibel
setzt er die verschiedenen wissenschaftlichen Theorien zusammen, so dass der
Leser sie auch nachvollziehen kann. Er wirkt dabei keine Sekunde wie ein
mahnender Schulmeister, sondern verpackt die Informationen in eine sehr gut
konzipierte Handlung, die von ihren Protagonisten lebt. Jede Person wirkt
glaubwürdig, bietet also jede Menge Identifikationsmöglichkeiten für den Leser.
Sei es nun der auf seine Arbeit versessene Gordon Bernstein, der seine
Beziehung zu der Literaturstudentin Penny aufs Spiel setzt oder der aalglatte
Ian Peterson, der mit jeder Frau ins Bett gehen muss, die er trifft und mit
einer Abweisung nur schwer zurecht kommt. Hinzu kommen noch zahlreiche
Auftritte von real existierenden Personen. Ja sogar Benford und sein
Zwillingsbruder haben einen kleinen Cameo in dem Roman.
Zeitschaft ist Hard Science in ihrer reinsten Form. Sicher ist dies
nicht jedermanns Geschmack, doch wenn man einmal Zugang zu dem Roman gewonnen
hat, entspinnt sein ein interessantes, sehr fesselndes Lesevergnügen, das sich
auf einem hohen Niveau bewegt. Obwohl die Gegenwart des Romans im Jahr 1998
spielt und Benfords Spekulationen etwas daneben liegen (beispielsweise steht
Prinz Charles kurz vor seiner Krönung), kann man gerade die Umweltprobleme
durchaus nachvollziehen. Hier hat man eine Realität vor sich, wie sie durchaus
auch uns noch passieren kann. Zwar ist das gezeichnete Bild etwas schwärzer als
das beginnende 21. Jahrhundert, doch nur als überspannte Phantasie eines Autors
kann man das nicht abtun. Ein Körnchen Wahrheit liegt tatsächlich darin.
Zeitreise wird in der Science
Fiction, auch in der Hard Science, sehr oft thematisiert und ist mit jeder
Menge Klischees behaftet. Auch in Zeitschaft
wird das Thema Paradoxon angeschnitten, wobei er sich bemüht das in dem Roman
so genannte „Großvater-Paradoxon“ zu vermeiden. Interessant ist auch die
Darstellung von Zeit durch Benford. In vielen ähnlichen Romanen ist von einem
Zeitstrom die Rede, während sich der Autor hier mehr auf eine Zeitlandschaft
bezieht. Eine Theorie, die ebenfalls ihren Reiz besitzt. Eine der in
intensivsten Stellen im Roman selbst ist jene, in der Gregory Markham (der
Vorname kommt nicht von ungefähr) mathematische Berechnungen anstellt und
Benford diese in Vergleiche mit der Kunst dem Leser etwas näher bringt.
Zum Schluss stellt sich die
Frage, ob es tatsächlich gelungen ist, die Katastrophe im Jahr 1998 abzuwenden
und den Verlauf der Zukunft zu verändern. Tatsächlich hat sich der Verlauf der
Gegenwart des Jahres 1974 am Ende des Buches tatsächlich unmerklich verändert.
Was dem Leser die Möglichkeit gibt, den Faden in seiner Phantasie
weiterzuspinnen.
Timescape, so der englische Originaltitel, wird dadurch zu einem
sehr persönlichen Roman mit literarischem Anspruch, den so mancher SF-Roman in
der Zeit der Megazyklen vermissen lässt. Genau das richtige, um die kleinen
grauen Zellen anzuregen.
Mitte der 80er Jahre erschien Zeitschaft bereits im Moewig Verlag, in
den 90ern folgte eine weitere Ausgabe beim Goldmann Verlag. Die hier
vorliegende Version aus der Reihe Meisterwerke
der Science Fiction bietet zum ersten Mal die komplette Version des Romans,
wobei die alte Übersetzung von Bernd W. Holzrichter beibehalten wurde und die
bisher fehlenden Passagen von Erik Simon bearbeitet wurden. Das Buch selbst
bietet ein sehr lesenswertes Vorwort des SF-Autors Jack McDevitt, der auf die
Melange zwischen Literatur und Wissenschaft in diesem Roman eingeht. Vertieft
wird das noch durch den Beitrag von Susan Stone-Blackburn, die sich noch etwas
intensiver mit diesem Thema in Bezug auf den Roman auseinandersetzt.
Zeitschaft
von Gregory Benford
Originaltitel: Timescape
erschienen im Heyne Verlag im
Juli 2006
ISBN: 3 453-52191-9
Umfang: ca. 570 Seiten
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