Dienstag, 6. März 2012

Der letzte Tag der Schöpfung von Wolfgang Jeschke


Als rätselhafte archäologische Funde in Europa die Aufmerksamkeit der amerikanischen Regierung auf sich lenken, bestärkt dies die Weiterführung eines ihrer geheimsten Projekte. Obwohl die Lage sehr angespannt ist, wendet man alle Ressourcen auf, um eine Möglichkeit zu entwickeln, mit der man fünf Millionen Jahre in die Vergangenheit reisen kann. Der Hintergedanke ist dabei die Vormachtstellung der USA in der Gegenwart zu stärken, indem man den arabischen Scheichs das Erdöl mit einer Pipeline abpumpt, um es ihren Zugriff zu entziehen. In speziellen Förderstätten soll es dann aus der Vergangenheit in die Gegenwart geholt werden, damit die USA ihre Abhängigkeit gegenüber den ölfördernden Ländern verliert. Als Ziel in der Vergangenheit wählt man eine Zeitperiode, in der das Mittelmeerbecken trocken lag. Dies würde den Plan in vieler Hinsicht erleichtern. So schickt man Menschen und Material in die tiefe Vergangenheit, doch als die Expeditionsteilnehmer dort ankommen, erwarten sie dort einige böse Überraschungen, mit denen keiner gerechnet hat.

Zeitreisen sind in der Science Fiction ein gern benutztes dramaturgisches Instrument. Doch selten sind die Grundkonzepte der Story so originell ausgearbeitet wie in dem Klassiker von Wolfgang Jeschke. Von der ersten bis zur letzten Seite weiß der Autor mit seiner Handlung den Leser an sich zu fesseln. Er bedient sich dabei zwar den typischen Mustern des SF-Abenteuers, bietet aber dennoch ein Lesevergnügen auf hohem Niveau. Die Story ist ausgeklügelt und beginnt erst mit langsamen Schritten, bevor sie in der zweiten Hälfte Aspekte aufzeigt, die man eigentlich nicht erwartet hätte. Es entfaltet sich vor dem Auge des Lesers eine Zeitreisegeschichte, die den Vergleich mit ihren großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht. Aber Wolfgang Jeschke schafft noch viel mehr. Er zeigt auf, dass ein Roman auch fünfundzwanzig Jahre nach seinem Erscheinen immer noch aktuell sein kann. Der letzte Tag der Schöpfung erschien bereits 1981. Damals war die Vision eines ausgetrockneten Mittelmeerbeckens in der Geologie noch eine unausgegorene Theorie, die von vielen Wissenschaftlern belächelt wurde. Heute weiß man allerdings, dass die Austrocknung tatsächlich stattgefunden hat und ein solches Ereignis in der Vergangenheit bereits mehrmals stattgefunden hat.

Für die Neuausgabe im Rahmen der Heyne Reihe Meisterwerke der Science Fiction hat der ehemalige Redakteur und Herausgeber des Heyne SF-Programms noch einmal Hand angelegt und den Roman komplett überarbeitet. Das heißt jetzt nicht, dass er großartige Änderungen vorgenommen hat, sondern vielmehr einige wissenschaftliche Fakten etwas angepasst hat. Dazu gibt es noch ein Nachwort von Jeschke, in der er auf verschiedene Ereignisse eingeht, die ihn bewogen haben, sich der damals umstrittenen Austrocknungstheorie anzuschließen und seine Handlung darauf aufzubauen. Garniert wird das kleine Juwel mit einem Vorwort von Frank Schätzing, der mit seinem Science Thriller Der Schwarm einen Bestseller abgeliefert hat. Der letzte Tag der Schöpfung ist ein Roman, der in keiner guten SF-Sammlung fehlen darf.

Der letzte Tag der Schöpfung
von Wolfgang Jeschke
erschienen im Heyne Verlag, im November 2005
ISBN: 978-3-453-52121-6

Sonntag, 4. März 2012

I. N. R. I. oder die Reise.... von Michael Moorcock


Wer hat noch nicht davon geträumt einmal durch die Zeit zu reisen um festzustellen, ob es Jesus tatsächlich gegeben hat? 

Lange vor Andreas Eschbachs Das Jesus-Video haben sich schon einige phantastische Autoren dieser Frage gestellt, wobei Michael Moorcock einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die Geschichte des Zeitreisenden Karl Glogauer hält sich dabei nicht mit seitenlangen technischen Abhandlungen über die Möglichkeit einer Zeitreise auf, sondern steigt mit der Ankunft im Jahr 28 ein. Parallel dazu erfährt man einiges über die Vergangenheit des Protagonisten, der schon immer in irgendeiner Form auf der Suche nach Gott war. Sein Wahn prädestiniert ihn dafür, ins alte Judäa zu reisen, um nach Jesus Christus zu suchen. Dieser entpuppt sich allerdings als lallender Idiot, der in einem Elternhaus lebt, das nicht ganz so rein ist, wie man es aus den Überlieferungen kennt. Glogauer muss etwas tun. So steigert er sich immer weiter in seine Wahnvorstellungen hinein, um ganz den Bezug zur Realität zu verlieren. Dem Leser stellt sich dabei auf dem Höhepunkt die Frage, ob Glogauer wirklich in die Vergangenheit gereist ist oder man es doch nicht mit der Ausgeburt eines kranken Gehirns zu tun hat.

Einem breiten Publikum ist der englische Autor Michael Moorcock vor allem durch den Zyklus um Elric von Melniboné und der Saga um den Ewigen Helden. Aber auch an interessanten SF-Romanen hat er sich versucht, wie Behold the Man, so der Originaltitel, zeigt. Interessanterweise weicht Moorcock in diesem Roman etwas von seinem typischen Stil ab und bietet eine Handlung, in der Realität und Wahn des Protagonisten im weiteren Verlauf immer mehr verschwimmen. Am Ende überlässt er dem Leser selbst die Entscheidung, ob Glogauer tatsächlich ein Zeitreisender ist oder einfach nur ein grenzdebiler Spinner. Es  entwickelt sich ein sehr kurzweiliger, sehr ansprechender Roman, der sich wohltuend von anderen Werken aus der gleichen Richtung unterscheidet. Das macht I.N.R.I. auch über 40 Jahre nach seiner Entstehung immer noch zu einem sehr lesenswerten Fantasieprodukt werden, das nicht nur eines der bedeutendsten Werke Moorcocks ist, sondern auch zeitloser SF-Klassiker.

Die Neuausgabe aus dem Piper Verlag legt eine neue und vor allem ungekürzte Übersetzung des Romans vor, die mit einem sehr lesenswerten Nachwort von Carsten Polzin abgerundet wird.

I. N. R. I. oder die Reise mit der Zeitmaschine
von Michael Moorcock
erschienen beim Piper Verlag im Februar 2007
ISBN: 978-3-492-28618-3